Blog Anett Dreuse
04.10.2020 17:19

Die Therapeutin wählt nur 30 Minuten Therapie.

Sie kommen mit einer Verordnung über 45 Minuten in die logopädische Praxis, weil Ihr Kind mit 3,5 Jahren immer noch nicht spricht und nur vereinzelt Laute äußert, welche sich in vielen Situationen wiederholen und doch andere Inhalte haben.

Vielleicht ist Ihr Kind Autist, hat eine zentrale Hörstörung, eine stark verkürzte Merkspanne, eine Aufmerksamkeitsstörung oder anderes. Oft ist es in diesem Alter noch ungewiss, wenn nicht eindeutig eine Behinderung festgestellt wurde.

Warum reduziert der/die TherapeutIn die Therapie nun auf 30 Minuten, obwohl der Arzt auf die Verordnung 45 Minuten schrieb und meint, es wäre sehr dringend?

Der Arzt ist nicht im Unrecht. Doch es ist nicht zu leisten. Warum?

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Sprache entwickelt sich durch Handeln, durch Interagieren mit anderen Menschen und Gegenständen. Sprache muss ausprobiert werden, um Regeln zu erkennen. Dies erfolgt empirisch, beruht also auf Erfahrung. Viele Wiederholungen sind dafür notwendig.

Die Kinder wenden dabei selbst erkannte Regeln auch auf neue Äußerungen an, die dann lexikalisch oder grammatisch nicht korrekt sind und zum Schmunzeln führen. Oft ganz niedlich, was die Eltern manchmal dazu bewegt, diesen Gebrauch unwissend zu fördern.

So lange bald eine Korrektur auf freundliche Art und Weise erfolgt, kann sich kein falsches Muster einprägen.

Bei einer Korrektur erklärt man natürlich nicht die Grundlagen der Sprache, sondern ist schlichtes Vorbild und wiederholt die Äußerung des Kindes, um zu verstärken oder erweitert die Äußerung, um neues anzubieten. Das Kind muss immer selbst erkennen.

Hört das Kind jedoch eine Korrektur, die nicht zu seinem Kontext passt und wie ein neuer Baustein wirkt, fällt es ihm schwer, diesen Baustein in seinen Erfahrungsschatz aufzunehmen. Es legt den Baustein beiseite.

Greift das Kind viele derartiger Bausteine auf, weil es in der Entwicklung langsamer ist als andere, wird die Ablage immer größer und das Kind entwickelt keine neuen Muster. Die Sprache entwickelt sich ganz langsam, kommt nicht weiter oder setzt wieder aus.

Oft bewältigen diese Kinder gerade andere Entwicklungsbereiche, die sie voll in Anspruch nehmen und deshalb für die Sprache noch nicht bereit sind.

Was macht nun die Therapeutin, wenn sie einem Kind, welches nur wenige Laute für viele Inhalte hat, therapiert?

Sie muss vor allem Zuhören und darf nur wenig falsche Äußerungen tätigen. Sie muss sich bemühen, das Kind zu verstehen, sich einhören. Sie muss sich dabei voll und ganz auf die Handlungen des Kindes konzentrieren und sämtliche Äußerungen des Kindes in diesem Zusammenhang erkennen. Sie muss die Äußerungen zu Worten oder gar Sätzen generieren, um diese korrekt im Spielprozess dem Kind anbieten zu können.

Am besten lässt man das Kind spielen was es möchte und wenn es über 20 Therapieeinheiten das gleiche spielt wie bspw. Töpfe umfüllen, Autos schieben, komische Häuser bauen oder anderes. Je weniger man reglementiert, umso besser öffnet das Kind Augen und Ohren. Manchmal darf man mitspielen, ein anderes Mal muss man etwas animieren oder muss gar zugucken und darf nur sprachlich begleiten.

Den Einstieg ins Spiel erhält man fast immer über Geräusche, die zur Spielhandlung passen. Das lassen sich die meisten Kinder gefallen, weil es nicht dazu auffordert, etwas sagen zu müssen.

Achtung, das Kind gibt die Entwicklung vor. Anfangs werden nur vorsichtig neue Inhalte angeboten.

Besonders wichtig ist aber auf die Fragen des Kindes korrekt zu reagieren. Man darf die Fragen nicht unterschätzen. Die Kinder prüfen so, ob man würdig ist mit ihnen spielen zu dürfen. Die Kinder prüfen, ob sie dir vertrauen können.

Nur wer vertraut übernimmt neues, weil er beim Ausprobieren Fehler machen darf, die keine negativen Erlebnisse mit sich ziehen.

Je besser man also auf die kaum verständlichen Äußerungen des Kindes reagiert und korrekte Wörter und kurze Sätze rückkoppelt, desto freudiger lässt sich das Kind auf ein Gespräch ein, indem es sich ausprobieren lernt.

Das ist verdammt anstrengend und im Alltagsprozess einer Familie kaum möglich. Meist verstehen die Mütter ihre Kinder auch metasprachlich, weshalb das Kind oft andere Kommunikationsfähigkeiten ausbildet. Die gesprochene Sprache entwickelt sich jedoch nicht.

(Die Verordnung wird natürlich in Absprache mit dem Arzt entsprechend verändert.)


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