Blog Anett Dreuse
08.10.2021 17:47

Logopädie ist keine Massage

In der Logopädie werden Sprach-, Sprech-, Verständnis-, Schluck- und Stimmstörungen behandelt. Schon allein die Aufzählung der Behandlungsfelder zeigt, dass während der Therapie die aktive, meist willentliche Gestaltung des Umfelds berücksichtigt wird.

Nur in wenigen Fällen wird eine passive Behandlungsmethode zum Einsatz gewählt. Dies betrifft überwiegend die Schlucktherapie.

Demnach ist Logopädie keine Massage, sondern ein aktiver und selten passiver Lernprozess, der Kontinuität im Aufbau der Therapiebausteine benötigt. Anders ist ein Therapieziel kaum zu erreichen. 

Logopädie braucht also Kontinuität. Warum eigentlich?

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Wir lernen durch Imitieren und Wiederholung. Unsere individuelle Entwicklung hängt dabei von den eigenen geistigen Fähigkeiten und der Sinneswahrnehmung ab.

Mit der Wiederholung werden wir unabhängiger, routinierter. Viele unterbewusste Automatismen entwickeln sich, die unseren Energieaufwand minimieren. Dadurch können viele Leistungen gleichzeitig bewältigt werden. Beispielsweise kann man sich beim Gehen unterhalten, beim Schreiben dem Diktat folgen, beim Musikhören rechnen, beim Spielen das Tor treffen.

Dieser aktive Lernprozess führt dazu, dass wir uns neuen Herausforderungen stellen können, unsere Fähigkeiten basisbreit ausbilden, um später Spitzenleistungen zu ermöglichen.

Wir müssen immerzu in Bewegung sein und mit unserer Umwelt jede Sekunde in Beziehung bleiben. Selbst wenn wir schlafen haben wir vor der Umwelt keine Ruhe.

Über aktive Lernprozesse können wir unseren Körper und Geist jedoch so gut schulen, dass er ständig wiederholende Ereignisse und Muster nur noch mit wenig Energieaufwand beachtet und als Erholung oder leicht interpretiert.

Das nennt man unter anderem auch "Hemmung" - eine durch unser Gehirn unterbewusste Filterung der Umwelt. Dadurch werden wir frei für wichtige Aufgaben, die es im Alltag zu meistern gilt.

Die Erarbeitung der "Hemmung" und vieler Automatismen beginnt bereits im Mutterleib und erzielt ihren Höhepunkt mit der Geburt bis ins 6. Lebensjahr, wobei wir nie auslernen. Mit dem Schuleintritt etwa, sind wir bereit für abstrakte Lernprozesse, da Fremd- und Eigenwahrnehmung differenziert genug ausgebildet sind.

Obgleich die Entwicklung eines Kindes gleich erscheint, ist dieser Prozess dennoch sehr individuell. Dadurch sind manche Kinder beispielsweise sehr sportlich, aber sprachlich hinterher. Andere reden wie ihre älteren Geschwister, sind aber emotional wie Kleinstkinder. Wieder andere möchten lieber klein bleiben, weil das kleine Geschwister eine Konkurrenz ist. Ein anderes Kind hörte schlecht und nahm deshalb die Sprache anders wahr. Und so weiter ....

Wirklich gleich ist nur, dass sich schnell Automatismen herausbilden, um der Umwelt zu trotzen. Zwischen den Bezugspersonen entwickelt sich ein unterbewusstes stilles Abkommen, mit dem Versprechen, sich einander zu verstehen. Das einfachste Beispiel ist, wenn ein Baby weint und die Mutter es sofort an die Brust nimmt oder sofort im Arm wiegt. 

So kann ein Schreien und Trampeln, oder eine Aussprachestörung zu einem Abkommen gehören, was sich schon früh unterbewusst automatisierte.

Diese Automatismen müssen mühsam abgebaut oder umgearbeitet werden. Nichts ist hartnäckiger als ein Automatismus, weshalb Hochleistungssportler um Höchstleistungen zu erzielen, immer wieder den gleichen Bewegungsablauf trainieren und so Wettkampfressourcen gewinnen. Der Mensch an sich ist eine Hochleistungsmaschine.

Genau diese Ablösung der Automatismen, die Veränderung der Abläufe und Fokussierung der Wahrnehmung auf das Neue, erfordern die eingeforderte Kontinuität in der Therapie.

Unser Körper und Geist sind immer bemüht den Energieaufwand gering zu halten und versuchen deshalb ständig neue Automatismen bei neuen Aufgaben zu entwickeln. Dies geht meist schnell. Sind sie erst einmal verankert, ist es immer schwierig, diese zu verändern. Wer gibt schon gerne her, was er mag und leicht ist.

So entstehen auch schnell Automatismen, die sich durch eine Erkrankung entwickeln. Sie wirken manchmal wie eine Tablette. Sie helfen gegen das eine Syndrom, verursachen aber andere entwicklungshemmende oder schädigende Nachwirkungen.

Genau deshalb gilt die Kontinuität auch für ältere Patienten, die beispielsweise durch eine neurologische Erkrankung mit einer Sprechanstrengung zum Logopäden kommen.

In der Therapie geht es immer um Ausgleich und Balance. Das lernt man nicht an einem Tag oder per Knopfdruck. Setzen Sie deshalb Prioritäten.

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