Blog Anett Dreuse
19.04.2024 20:57

Der Schluckreflex

Durch unseren Schluckrefelx wird die Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme ermöglicht. Mit der Auslösung des Schluckreflexes wird der Nasenraum durch unser Gaumensegel und die Luftröhre durch den Kehldeckel abgeschlossen, sodass es zu keiner Aspiration in die Lunge oder in die Nase kommen kann.

Somit erfüllt der Schluckreflex auch eine Schutzfunktion.

Ohne diesen Schutz ist die Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme sehr gefährlich, weil es bei Eintritt der Nahrung oder Flüssigkeit in die Lunge zur Lungenentzündung kommen kann.
Auch das Überschlucken in die Nase ist sehr unangenehm und kann zur Entzündung der Nasenschleimhaut führen.

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Der Schluckreflex erfolgt unwillkürlich und wird erst ausgelöst, wenn die Nahrung oder Flüssigkeit die Triggerpunkte im Rachen über die Zungenaktivität erreichen. Das Nachhirn (Myelencephalon) erhält dadurch eine Reizinformation, die den unwillkürlichen Schluckakt auslöst. Wir haben also keinen Einfluss darauf.

Der Schluckrefelx erfolgt nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip.

Ist die Sensibilität im Rachenbereich gestört, kommt es oft zu Irritationen im Bereich der Schlucktriggerpunkte, sodass der Schluckreflex nicht physiologisch ausgelöst wird. Es kommt zum Verschlucken.

Wenn man sich mal verschluckt, weil der ankommende Reiz von der Nahrung oder Flüssigkeit anders ist als sonst (zu sauer, zu heiß, zu prickelnd, zu kalt als gedacht), dann tritt bei gesunden Menschen sofort der Hustenreflex in Kraft, um die Lunge zu schützen. Das Überschlucken in die Nase ist hier weniger abgesichert. Es ist auch nicht so gefährlich, weshalb der Schutz der Lunge Priorität besitzt.

Ist die Sensibilität jedoch so weit herabgesetzt, dass weder ein Würgreflex noch ein Hustenreflex ausgelöst werden kann, besteht große Gefahr und die Nahrungs- und/oder Flüssigkeitsaufnahme müssen ärztlich abgeklärt werden.


Patienten-Beispiel:

Einer meiner Patienten hat eine sehr schwere Schluckstörung. Aufgrund seiner Grunderkrankung war die Nahrungsaufnahme schon immer schwierig. Die Nahrung musste ihm schon immer gereicht werden.

Seine Zunge kann sich lediglich eingeschränkt bewegen. Geringe seitliche Bewegungen sind möglich. Eigentlich bewegt sich die Zunge nur vor und zurück. Die charakteristische Bewegung ist ein Zungenstoß, also die Bewegung nach vorn.

Nun kommen noch gravierende Sensibilitätsstörungen im Rachenbereich hinzu. Die Auslösung des Würgreflexes oder anderer Reaktionen sind nicht möglich, selbst wenn man den Rachen über ein Wattestäbchen mit Eis stimuliert. Null Reaktion.

Hier wird eine PEG empfohlen. Dies ist ein endoskopisch angelegter künstlicher Zugang von außen durch die Bauchdecke in den Magen, um den Patienten mit entsprechender Sondenkost zu ernähren.

Die Mutter des Patienten verweigert eine PEG, weil es das Wohlbefinden des Patienten einschränkt. Essen ist ein wichtiger Bestandteil unseres psychologischen Wohlbefindens. Essen ist ein Genuss.

Der Verzicht der PEG beruht darauf, dass der Patient mit viel Mühe dennoch schlucken kann.

Wie funktioniert das?

Der Kopf wird nach hinten überstreckt und die Nahrung oder Flüssigkeit wird extrem weit in den Rachenbereich gereicht. Da die Zungenaktivität eingeschränkt ist, erfolgt kein Hochwölben des Zungenrückens als weitere Schutzfunktion. Die Nahrung oder Flüssigkeit liegt nun an den Schlucktriggerpunkten und wartet darauf geschluckt zu werden. Dies erreicht die Mutter über das seitliche Ausstreichen entlang des Kehlkopfes vom Mundboden in Richtung Schlüsselbein.

Es war sehr interessant zu sehen, dass dieser junge Mann dennoch etwas herunterschlucken konnte und es genoss. Dies erklärt sich durch die Gabe liebgewonnener Geschmacksrichtungen. Der Geschmack Kaffee löste noch einen Schluckreflex aus, obgleich die Reizweiterleitung recht lange benötigte.

Dennoch:
Es besteht eine sehr hohe Aspirationsgefahr.

Der Patient hustete erst viel später, um nicht geschluckte Nahrung oder Flüssigkeit auszuwerfen. Es ist auch unsicher, ob während des Schluckens der Abschluss durch den Kehldeckel ausreichend war und es nicht zu einem stillen Verschlucken in die Lunge kam. Stetig wenige Tropfen können auch zu einer Entzündung der Lunge führen.

Ist die Sensibilität dermaßen hoch gestört, ist immer abzuwägen, welches Risiko man eingeht. Dieses Risiko kann nur durch den Patienten selbst oder der  gesetzlich vertretenden Person übernommen werden.
Ärzte, Therapeuten und Pfleger werden sich in einem solchen Fall immer absichern und keine Verantwortung bei der oralen Gabe von Nahrung oder Flüssigkeit übernehmen. Sie werden eine schriftliche Einverständniserklärung seitens des Patienten erwirken, wenn dieser keine PEG möchte. Der Patient darf nicht verhungern.



Tags: schlucken