Blog Anett Dreuse
16.09.2020 23:49

Den Löffel nicht zu weit schieben

Ich wurde mal von einer Krankenschwester gefragt, ob es einen Trick gäbe, dass die Patienten unter meiner Hilfe essen würden. Es ist jedoch kein Hokuspokus, sondern beruht auf Techniken des physiologischen Schluckens.

Ja, man staunt nur, wie pflegebedürftigen Kindern und Erwachsenen oftmals das Essen gereicht wird. Es ist nicht böswillig gemeint, aber häufig ähnelt es dem Akt des Stopfens. Vielleicht aus Zeitgründen oder mangelnder Kenntnis.

Was passiert, wenn man einen Esslöffel voll beladen nacheinander ohne Unterbrechung in den Mund schiebt? Essen ist doch Kultur.

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Es wird ein Zungenstoß nach vorn oder vorzeitiger Mundschluss als unbewusst folgernde Schutzreaktion des Hungrigen provoziert. Die Zunge wehrt den Löffel ab. Dadurch wird nur ein kleiner Teil der Nahrung aufgenommen. Der andere Teil landet im Latz, hängt am Kinn oder wird einem gar entgegengespuckt.

Unbewusst fordert man neue oder nicht physiologische Bewegungsabfolgen, die geschwächte Kinder oder neurologisch erkrankte Erwachsene nicht meistern können. Nicht häufig verschlucken sich diejenigen auch. Es wird zu einem Teufelskreislauf, da immer weniger Essen bei gleicher Zeitproblematik hineingeschoben werden muss. Schließlich geben beide auf.

Dieser Teufelskreis, kann nur mühsam aufgelöst werden. Das Vertrauen in den Löffel ist zerrissen und muss kontinuierlich wieder aufgebaut werden.

Was muss man unbedingt verändern? Druck erzeugt immer Gegendruck. Deshalb sollte man den Löffel leicht auf die Zunge nach unten drücken und anschließend über die Oberlippe abstreifen. Der Hungrige braucht die Möglichkeit aktiv bei der Aufnahme der Nahrung mitzuwirken. Das heißt, dass dieser seine Zunge heben und einen Mundschluss durchführen lernen müsse.

Rezeptoren und Reflexe leiten dann automatisierte Prozesse ein, die man selbst nicht mehr beeinflussen kann.

Somit ist zu beachten, dass die unwillkürliche Phase des Schluckens nicht oder nur wenig beeinträchtigt sein darf. Andernfalls muss man sehr vorsichtig füttern, um nicht ein Verschlucken in die Lunge (Aspiration) zu provozieren.  Dies kann zu Lungenentzündungen führen. Gegebenenfalls muss die Konsistenz des Essens angepasst werden.

Am einfachsten ist immer Brei. Deshalb bekommen tatsächlich viele Pflegebedürftige tagein tagaus breiige Kost. Die Darreichungsform des Breies sollte ebenso getrennt sein wie ein normaler Teller mit Hauptspeise und Beilagen zubereitet sei. Es ist immer wichtig viele unterschiedliche Reize zu setzen, was bei einem breiigen Gemansche gar nicht möglich wäre.

Flüssigkeiten sind immer am schwersten zu schlucken, weil die Zunge hier schnell und präzise arbeiten muss. Bei zu festem Brei besteht die Möglichkeit, dass die Kraft der Zunge für den Transport der Nahrung bis zu den Schlucktriggerpunkten, welche sich im Rachenbereich befinden, nicht ausreicht.

Wichtig ist auch, die Hygiene einzuhalten. Was herausläuft sollte man gleich vom Mund oder der Wange wischen. Dies verbessert die Wahrnehmung und setzt der Muskulatur Reize. Bei einem pflegebedürftigen Erwachsenen ist es viel leichter wieder die physiologischen Abläufe zu konditionieren. 

Eigentlich ist es eine Erleichterung die Etikette beim Essen nicht zu vergessen. Man darf beim Abwischen des Mundes nicht grob reiben, sondern sollte eher bestimmt abtupfen, ganz so wie es eine Queen tun würde.

Dies gilt übrigens auch für das Putzen der Nase. Die Nasenflügel sanft zusammendrücken bewirke mehr als das Wegwischen des Schnodders. Meist drehen sich die Personen bei falscher Herangehensweise gleich weg und lassen eine derartige Zuwendung nicht zu. 

Tags: schlucken